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125 Jahre Hannover 96

Die Victoria und eine Salatschüssel

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DER UNDERDOG WIRD DEUTSCHER MEISTER: Nach zwei dramatischen Finals ist Schalke 04 im Jahr 1938 bezwungen, und Hannover 96 darf sich zum ersten Mal über den Titel freuen. Erich Meng sei Dank, der in der 117. Minute das Siegtor zum 4:3 erzielt. Repro

Achtunddreißig, vierundfünfzig, deutscher Meiiiiister Ha-Ess-Vau. Neunzehnhundertzweiundneunzig, Pokalsiiiiieger Ha-Ess-Vau.“ So lautet ein noch heute aus der Nordkurve der HDI-Arena zu vernehmendes Fanlied. Besungen werden darin die drei größten Titelgewinne der 125-jährigen 96-Vereinsgeschichte. Was alle drei Triumphe sonst noch eint: Hannover 96 war in alle drei Endspiele nicht als Favorit gegangen. Genau wie 1992, als der niedersächsische Zweitligist im DFB-Pokalfinale die Erstligamannschaft von Borussia Mönchengladbach bezwang, triumphierte auch 1938 und 1954 der Außenseiter. Beim ersten Mal wurde der 96-Coup noch mit der legendären Victoria belohnt. Das bronzene Abbild der Siegesgöttin wurde seinerzeit als Meistertrophäe vergeben. 1954 hingegen nahm 96-Kapitän Werner Müller bereits die bekannte „Salatschüssel“ in Empfang, die dem jeweiligen Titelträger seit dem Jahr 1949 bis heute verliehen wird.

Hannover 96 holt 1938 und 1954 die Trophäen für die deutsche Meisterschaft. Das Wunder von Hamburg gelingt gegen Kaiserslauterns halbe Nationalmannschaft.

So lang wie Fuchs bleibt keiner

Als der erste angestellte Trainer in der Historie von Hannover 96, Robert Fuchs, mit den Hannoveranern in Berlin seinen größten Erfolg feierte, hatte er schon eine längere Amtszeit hinter sich, als all seine Nachfolger jemals erreichen sollten. Ab dem Sommer 1932 hatte der Pforzheimer bei 96 das Sagen, seitdem war es Stück für Stück aufwärts gegangen. Bis heute ist der 1958 verstorbene Fuchs der Übungsleiter mit der längsten Amtszeit (etwa 17 Jahre, verteilt auf zwei Etappen: 1932 bis 1946 sowie 1947 bis 1950). Das konnte selbst der Meistermacher von 1954 trotz insgesamt vier Aufenthalten in Hannover nicht toppen: Helmut „Fiffi“ Kronsbein brachte es addiert „nur“ auf etwas mehr als elf Jahre an der hannoverschen Seitenlinie.

Schon 1935 hatte Fuchs mit seinem neuen Klub Historisches vollbracht und war seit 30 Jahren erstmals wieder in die Endrunde um die deutsche Meisterschaft eingezogen. Schalke 04 war seinerzeit in zwei Duellen (kurioserweise in Dortmund und Braunschweig ausgetragen!) jedoch zu stark für 96, das sich daher mit dem zweiten Platz in Gruppe 2 (vor dem Eimsbütteler TV und dem Stettiner SC) zufriedengeben musste. Immerhin sprang, wenn es fürs Team schon nicht zum großen Wurf langte, zumindest für Edmund „Ettchen“ Maletzki und Fritz Deike eine Nominierung für die Nationalelf heraus – es waren die beiden ersten in der 96-Vereinsgeschichte.

„Achtunddreißig, vierundfünfzig, deutscher Meiiiiister Ha-Ess-Vau. Neunzehnhundertzweiundneunzig, Pokalsiiiiieger Ha-Ess-Vau.“

96-Fangesang im Stadion

Die Revanche gegen die königsblauen Gelsenkirchener ließ drei Jahre auf sich warten, doch 96 hatte sich dafür einen besonderen Moment aufgehoben. Die Gauliga Niedersachsen hatte 96 gewonnen. Dass sie den dadurch erspielten Startplatz in der Gruppe 4 der Endrunde um die deutsche Meisterschaft nicht zu Unrecht erhalten hatten, bewiesen die Hannoveraner mit sechs Siegen aus sechs Partien eindrucksvoll. Der Hamburger SV war im Halbfinale auch keine Hürde, und so ging es ins Finale gegen Schalke 04. Es sollte der ultimative Showdown werden. Die erste Partie konnte 96 nach 0:2- und 1:3-Rückständen noch mit einem 3:3 beenden. Im Wiederholungsspiel – nach der Verlängerung war seinerzeit Schluss, das Elfmeterschießen wurde erst gut 30 Jahre später erfunden – ging es abermals nach Berlin – zum zweiten Mal vor den Augen von 100 000 begeisterten Zuschauern. In einem dramatischen Spiel, das nach 90 Minuten wieder mit 3:3 endete, bewahrte Erich Meng 96 mit seinem 4:3-Siegtor in der 117. Minute vor der dritten Auflage – und ließ seine Farben jubeln. Die Siegesfeiern am Folgetag in Hannover suchten mit geschätzt 100 000 Menschen ihresgleichen. So meldete der Bahnhof Hannover beispielsweise „ausverkauft“ bei den Bahnsteigkarten auf Gleis 4, wo der Meisterexpress einrollte.

Ein ähnliches Hallo an selber Stelle gab es 16 Jahre später, nur dass die hannoversche Delegation diesmal aus Hamburg angefahren kam. Unter Coach Kronsbein hatten die passend zu den Vereinsfarben in schwarzen Stutzen, weißer Hose und grünem Trikot angetretenen 96er den hoch eingestuften Titelverteidiger 1. FC Kaiserslautern nach frühem 0:1-Rückstand mit sage und schreibe 5:1 (1:1) bezwungen. Hans Tkotz, Heinz Wewetzer, Helmut Kruhl und Rolf Paetz hießen die Torschützen am 23. Mai 1954 – und damit genau an dem Datum, an dem 1992 auch der Pokalsieg gelingen sollte. Dazu kam ein Eigentor des Pfälzers Werner Kohlmeyer. Das Wunder von Hannover (oder Hamburg) war vollbracht, dem nur anderthalb Monate später das Wunder von Bern folgen sollte: Beim WM-Triumph der deutschen Nationalmannschaft gegen Ungarn standen nicht weniger als fünf Lauterer im Kader. 96-Akteure suchte man im Team von Bundestrainer Sepp Herberger hingegen vergeblich.

Die Melodie zu dem eingangs erwähnten Song über die drei 96-Titelgewinne stammt übrigens vom amerikanischen Folksong „Oh My Darling, Clementine“, der vermutlich von Percy Montrose geschrieben und unter anderem von Freddy Quinn gesungen wurde. Entstanden ist das Lied bereits im Jahr 1884 – und damit sogar noch ein Dutzend Jahre vor Hannover 96. 2034 feiert die Komposition also ihr 150-jähriges Bestehen. Das wäre doch eigentlich ein guter Termin für den nächsten Titelgewinn von Hannover 96. Ole Rottmann