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Berufsperspektiven

Studienabbrecher – eine „vielversprechende Zielgruppe“

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AUCH DIE CHEMIE MUSS STIMMEN: Petra Wennin betreut duale Studenten bei der Versicherung Hannover Rück.

Was macht Studienabbrecher für Unternehmen interessant?Noch vor ein paar Jahren war der Begriff „Studienabbrecher“ tendenziell negativ behaftet, oftmals verband man mit dieser Umschreibung Unentschlossenheit oder Scheitern. Doch das hat sich geändert, heute ist die Sichtweise eine andere: Es sind junge Menschen, die oft aus nachvollziehbaren Gründen ihr Studium abbrechen. Wenn es für sie der falsche Weg ist, sagen sie „Nein“ – das erfordert auch Mut. Die Unternehmen haben sich in Zeiten des demografischen Wandels neu orientiert und sehen Studienabbrecher mittlerweile als vielversprechende Zielgruppe für ihre Ausbildungsplätze. Sie sind meistens an dieser Erfahrung gereift und schon etwas besser auf das Leben vorbereitet. Auch haben sie bereits gelernt, dass nicht immer alles so läuft, wie sie es sich vorgestellt haben. Und sie haben eine bewusste Entscheidung getroffen. Deshalb sind sie für Unternehmen interessant. Auch bei der Hannover Rück stehen die Türen für Studienabbrecher offen, für viele von ihnen könnte ein duales Studium die richtige Entscheidung sein.

Interview mit PETRA WENNIN, Human Resources Management, verantwortlich für die Einstellung und Betreuung der dualen Studenten bei der Hannover Rück SE

Gibt es Firmen, die gezielt nach Studienabbrechern suchen?

Ja, es gibt Unternehmen, die vor allem nach Aussteigern suchen. Die Frage ist, wo ein Arbeitgeber zukünftige Studenten rekrutieren kann, die auch für das Unternehmen geeignet sind. So gibt es zum Beispiel eine Studienaussteiger-Messe in Berlin. Dort werben Unternehmen für eine duale Ausbildung und knüpfen Kontakte. Die Hannover Rück schaut sowohl nach Studienabbrechern als auch nach Erststudenten, wobei alle demselben Auswahlprozess unterliegen. Uns interessiert vor allem, warum sich jemand bei uns bewirbt – egal, ob er bereits etwas anderes studiert hat oder erst anfängt. Und alle Bewerber müssen natürlich die von uns festgelegten Voraussetzungen für ein Studium in unserem Haus erfüllen.

Spielt der Fachkräftemangel eine Rolle?

Der Fachkräftemangel macht die Unternehmen kreativer – wie zum Beispiel das Angebot der Studienaussteiger-Messe zeigt. Die Unternehmen müssen grundsätzlich darüber nachdenken, wo sie ihre Bewerber zukünftig finden können. Wir als Arbeitgeber gehen deshalb in Schulen, auf Messen, zu Jobbörsen und bieten Veranstaltungen im eigenen Haus an. Wir haben auch einen Bachelor-Blog, auf dem unsere Studenten sich selbst und das Studium bei uns vorstellen. Auch bei Instagram sind wir vertreten. Außerdem haben wir Kooperationen mit Universitäten und Fachhochschulen, um unseren Bekanntheitsgrad zu erhöhen und um die Attraktivität unserer Arbeitsplätze vorzustellen. Unsere Studenten gehen zum Beispiel auch in ihre ehemaligen Schulen und berichten über ihre Erfahrungen.

Gibt es Studiengänge, deren Abbrecher besonders interessant sind?

Für uns sind vor allem Mathematik und Englisch wichtig. Die Bewerber müssen aber nicht die Note „Eins“ haben. Wer jedoch im BWL-Studium an den Anforderungen gescheitert ist, wird wahrscheinlich auch an der Fachhochschule für die Wirtschaft in Hannover die Studieninhalte nicht bewältigen können. Deshalb sind Studiennachweise wichtig, da sie Auskunft über die Leistungen des Betreffenden geben. Aber auch wer ein ganz anderes Studium abgebrochen hat, hat Chancen. Wir haben bei der Hannover Rück eine Vielzahl unterschiedlicher Berufsbilder und nennen uns auch gerne „das Haus der 100 Berufe“. Darunter sind beispielsweise Mathematiker, Kaufleute, Juristen, Human- und Tiermediziner, Meteorologen oder Biologen – denn um Risiken für eine Versicherung fundiert einschätzen und bewerten zu können, muss man sie auch kennen. Da ist eine andere Fachrichtung manchmal durchaus sinnvoll.

Wie sind die Perspektiven?

Wir bieten das duale Studium zum Bachelor of Arts (B. A.) der Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Versicherung an. Auch wer ein Studium abgebrochen hat und den Sinneswandel schlüssig erklären kann, ist ein interessanter Kandidat. Bei der heutigen Flut an Ausbildungsangeboten können sich junge Menschen schon einmal verrennen – das ist entschuldbar. Wir laden die Bewerber zu einem Test und einem Assessment- Center ein, um uns einen Gesamteindruck verschaffen zu können. So stellen wir sicher, dass einerseits die fachlichen Voraussetzungen gegeben sind, andererseits aber auch der menschliche Eindruck für beide Seiten nicht zu kurz kommt – denn die Chemie muss immer stimmen. Die während des Studiums erworbenen Kenntnisse sind sehr breit gefächert, so dass wir die Absolventen in möglichst viele Bereiche unseres Hauses vermitteln können. Bislang konnten wir alle Studierenden im Anschluss an das Studium übernehmen und unter dieser Prämisse bilden wir auch zukünftig aus.

Was sind die Ursachen dafür, dass so viele junge Menschen aus dem Studium aussteigen?

Da gibt es natürlich viele Gründe, von Überforderung bis hin zu falschen Vorstellungen. Ich denke, dass der Brückenschlag zwischen Schulen und Universitäten manchmal fehlt. Da müsste intensiver kooperiert werden. Wie kann es sein, dass so viele Schüler im anschließenden Studium an Mathematik scheitern? Sind die Ansprüche der Schulen zu niedrig oder die der Universitäten zu hoch? Die Schüler müssten meiner Meinung nach – vor allem inhaltlich – besser auf das Studium vorbereitet werden. Da kann es natürlich schon von Vorteil sein, auf ein duales Studium umzusatteln. Der Lehrbetrieb an der Fachhochschule für die Wirtschaft in Hannover – unser Kooperationspartner im dualen Studium – ist da beispielsweise wesentlich beschaulicher, um nicht zu sagen familiärer aufgestellt. Die Lerngruppen sind kleiner, der Kontakt zum Dozenten ist intensiver. Wenn es hier mal zu einem „Leistungsabsacker“ kommt, kann man das viel schneller auffangen und individuelle Lösungen anbieten. INTERVIEW: MARTINA STEFFEN

„Bei der heutigen Flut an Ausbildungsangeboten können sich junge Menschen schon einmal verrennen – das ist entschuldbar.“

Petra Wennin
Human Resources Management